Der Verfassungsausschuss hört Stellungnahmen von Expertinnen, u.a. von Irmi Salzer von ÖBV-Via Campesina:
Stellungnahme von DIin Irmi Salzer, ÖBV-Via Campesina Austria zur Sitzung des Verfassungsausschuss am 12. Juni 2017 zum Thema Volksbegehren „Gegen TTIP / CETA“ (1608 d.B.)
Themen „Standards, VerbraucherInnenschutz, regulatorische Zusammenarbeit, Abbau nicht tarifärer Handelshemmnisse, Lebensmittelsicherheit“
Mehr als 560.000 Österreicher*innen haben das Volksbegehren gegen TTIP, CETA und TiSA unterzeichnet. Ein wichtiger Grund dafür war für viele die Sorge um die europäischen Standards im Bereich Lebensmittel, Tierschutz und Umwelt. Die Verantwortlichen der Europäischen Kommission und die politischen Befürworter*innen dieser Handels- und Investitionsabkommen werden nicht müde zu betonen, dass weder mit CETA noch mit TTIP europäische Standards abgeschwächt werden können. Als Expertin für Landwirtschaft und als Mitglied einer internationalen Bewegung von Kleinbauern und –bäuerinnen kann ich diese Aussagen nicht bestätigen. Die Gefahr, dass mit dem im Ratifizierungsprozess befindlichen Abkommen mit Kanada (ebenso wie mit einem möglichen Abschluss von TTIP) Verschlechterungen auf Verbraucher*innen, Bäuer*innen und die Umwelt beiderseits des Atlantiks zukommen werden, ist enorm.
Beispiel Absenkung von Standards:
Verfahren zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der Standards der anderen Seite spielen in im CETA-Kapitel über sanitäre und phytosanitäre (SPS)-Maßnahmen eine wichtige Rolle. Werden die Standards des Vertragspartners als gleichwertig anerkannt, so können Produkte, die diesen Standards entsprechen, ohne weitere Prüfung in der EU vermarktet werden.
Die in Kanada geltenden Gesetze zur Lebensmittelsicherheit unterscheiden sich in vielen Punkten gravierend von denen in Europa – insbesondere in so sensiblen Bereichen wie Gentechnik, Lebensmittelkennzeichnung oder im Bereich der Pestizide. Auf bundesstaatlicher Ebene sieht die kanadische Regierung zudem keinerlei Konsequenzen für die Nichteinhaltung der – ohnehin nur freiwilligen – Tierschutzbestimmungen vor. Laut Studien schneidet Kanada von allen OECD-Ländern beim Tierwohl am schlechtesten ab.
Die kanadische Fleischindustrie ist enthusiastisch, was CETA betrifft. Sie freut sich auf die technischen Verhandlungen und gibt an, in denselben alle Handelshemmnisse im Bereich Lebensmittelsicherheit (wie z.B. Spülen von Fleisch mit chemischen Substanzen) beseitigen zu wolleni.
Das CETA Abkommen hat im Bereich SPS große Lücken. Die Frage der Äquivalenz von Standards wurde nicht ausreichend geklärt. Was also auf beiden Seiten des Atlantiks anerkannt wird, soll im Rahmen der Regulatorischen Kooperation und in Expertenausschüssen entschieden werden und nicht von demokratisch gewählten Vertreter*innen der Parlamente.
Doch selbst wenn niedrigere Standards, die der Öffentlichkeit Sorgen machen, nicht als gleichwertig anerkannt werden, ist die Gefahr einer Absenkung der Standards längst nicht gebannt.
Die Quoten im Bereich Rind- und Schweinefleisch, die Kanada mit CETA zugestanden werden, können das Preisniveau in der EU empfindlich absenken. Die kanadische Fleischindustrie kann weitaus billiger produzieren als europäische Erzeuger*innen. Die Produzent*innenpreise in Kanada sind um 15 bis 35% niedriger als in der EU. Der Vorsitzende der deutschen AbL, Martin Schulz, betonte in einem Treffen im deutschen Bundestag, dass selbst relativ geringe Importmengen die Preise in der EU dramatisch absenken werden. Selbst die EU-Kommission hat in einer Studieii festgehalten, dass sich der EU-Kanada-Deal negativ auf den Export von europäischem Rindfleisch, Weizen, Getreide, Pflanzenölen, Obst und Gemüse auswirken wird. Diese Verluste sollten durch CETAs positiven Einfluss auf Molkereiprodukte und Getränke aufgewogen werden.
Deshalb passiert bereits jetzt das, was viele Expert*innen und NGOs befürchtet haben: Europäische Produzent*innen lobbyieren massiv für eine Absenkung unserer Standards, weil sie zu Recht befürchten, Marktanteile zu verlieren. Portugiesische Schweinefleischzuchtverbände setzen ihre Regierung mit diesem Argument bereits unter Druck. Der Wettlauf nach unten hat begonnen.
Beispiel Vorsorgeprinzip
Ein Rechtsgutachteniii mehrerer deutscher Rechtsexpert*innen kommt zu dem Schluss, dass durch CETA (und TTIP, so wie es zuletzt verhandelt wurde), die Einhaltung des europäischen Vorsorgeprinzips gefährdet würde.
Das Vorsorgeprinzip ist im Artikel 191 der EU-Verträge festgehalten. Das Rechtsgutachten hält unter anderem fest, dass mit den SPS-Kapiteln in CETA und in den TTIP-Entwürfen „die entsprechenden Regeln der WTO, die für die Parteien ohnehin gelten, in Bezug genommen und damit zu Bestandteilen der beiden Freihandelsabkommen gemacht“ (werden). „Dies bedeutet, dass die Europäische Union sich bereitgefunden hat, sich auf eben jene Regeln, nach denen sie in … Streitschlichtungsverfahren der WTO unterlegen war, erneut und zusätzlich in einem bilateralen Kontext mit denjenigen Staaten zu verpflichten, die diese Verfahren angestrengt hatten. In beiden Kapiteln zu SPS-Maßnahmen kommt der Begriff der Vorsorge nicht vor. Es fehlt auch jeder Hinweis darauf, dass das Vorsorgeprinzip für die Europäische Union rechtlich verbindlich vorgegeben ist.“
Dieser Tatsache wird oft entgegengehalten, dass es in CETA ein Nachhaltigkeitskapitel gäbe und dass das Vorsorgeprinzip in der Zusatzerklärung festgehalten wurde. Beide Argumente beruhigen nicht, im Gegenteil:
Das oben erwähnte Rechtsgutachten hält zu den Nachhaltigkeitskapiteln (in CETA und in den TTIP-Entwürfen) fest, dass sie „ein Recht zur Regulierung“ beinhalten und „dabei den Wortlaut des Prinzips 15 der Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro aus dem Jahr 1992“ verwenden, „ohne allerdings den in der Erklärung als Überschrift verwendeten Begriff des Vorsorgeprinzips explizit zu nennen. Der Anwendungsbereich dieser Kapitel mit ihren Bezügen auf das Vorsorgeprinzip ist aber eng eingeschränkt.“… „Das in dem Kapitel über Handel und Umwelt vorgesehene Regulierungsrecht ist unter den Vorbehalt gestellt, dass die Regulierungen im Einklang mit den übrigen Regeln der Übereinkommen stehen müssen. Damit bleiben die SPS-Regelungen mit ihrem weiten Anwendungsbereich unangetastet.“
Was die Zusatzerklärung zum CETA-Vertrag betrifft, die ja unter anderem auf Betreiben des österreichischen Bundeskanzlers ausverhandelt wurde, sprechen manche Expert*innen sogar von einem „bösen Scherz“. „Damit bestätigen die Vertragsparteien lediglich noch einmal die Selbstverständlichkeit, dass internationale Verträge weiterhin für sie gelten. Dieser Text interpretiert nichts, er regelt nichts, er ist schlicht unbrauchbar. Es ist ein Skandal, dass die Europäische Kommission nicht in der Lage ist, die zentrale Grundlage des Europäischen Vorsorgeprinzips, den Artikel 191 der EU-Verträge, in der Erklärung zu sichern. Durch die alleinige Bezugnahme auf die internationalen Übereinkommen wird die Situation sogar verschlimmert,“ erklärte Ernst-Christoph Stolper, Handelsexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Befürchtungen der europäischen Bürger*innen in Bezug auf Lebensmittelsicherheit, Umwelt, Verbraucher*innenschutz und Arbeitnehmer*innenrechte keinesfalls überzogen oder unbegründet sind. Um in zukünftigen Abkommen die Einhaltung von Arbeitsstandards und internationalen Umweltnormen zwingend durchzusetzen, muss dass Erreichen der jeweils höchsten Normen und Standards als Ziel definiert werden– nicht deren Angleichung oder Harmonisierung.
DIin Irmi Salzer
ÖBV-Via Campesina Austria
www.viacampesina.at
0699 -11827634
i siehe dazu: https://canadians.org/ceta-food-safety.
ii http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC103602/lb-na-28206-en-n_full_report_final.pdf
iii CETA, TTIP und das europäische Vorsorgeprinzip. Rechtsgutachten – Erstellt im Auftrag von foodwatch e. V. von Prof. Dr. iur. Peter-Tobias Stoll, Dr. Wybe Th. Douma, Prof. Dr. Nicolas de Sadeleer und Patrick Abel im Juni 2016.
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